Wie Rocko zu uns kam
Schon als wir Ende Jahr 2010 unser Haus bauen ließen, war klar, dass wir einen Hund wollten. Meine Frau wollte Gesellschaft und einen Beschützer, wenn ich auf Reisen war, ich wollte einen Hund, der mich auf meinen Laufrunden begleiten sollte.
Leider (oder zum Glück für Rocko) sollte es noch weitere 2 Jahre dauern, bis wir soweit waren. Im März 2013 wurde der Gedanke konkret – meine Friseurin, die selbst zwei Hunde mit im Salon hatte, wies mich darauf hin, dass eine Nachbarin in Bad Vilbel einen „Unfall“-Wurf Labradore verkaufen wolle.
Da die kleinen relativ teuer verkauft werden sollten – und das ohne Impfungen und Papiere – entschieden wir uns dann doch für Plan B: ein Hund aus dem Tierschutz. Da wir es damals nicht besser wussten, schauten wir in Ebay-Kleinanzeigen, wo eine Tierschutzorganisation Rocko inseriert hatte, der von Mallorca stammte und sich in Hanau bei einer Pflegefamilie befand – und der ein Anfängerhund sei. Wir telefonierten und machten einen Besichtigungstermin aus. Rocko war ein 2,5 Jahre alter Labradormix, der uns sofort ins Herz schloss – er zeigte es dadurch, dass er bei uns beiden auf den Schoß stieg und uns ableckte.
Laut der Anzeige war er ein Anfängerhund, ein kurzes Spazierengehen verlief unauffällig bis darauf, dass Rocko wie verrrückt an der Leine zog. Meiner Frau gefiel zwar der andere Hund der Pflegefamilie – ein Labradormädchen – besser, nach einer kurzen Bedenkzeit entschieden wir uns aber dann dafür, Rocko zu nehmen. Am 14.03.2013 wurde der Abgabevertrag aufgesetzt und wir nahmen ihn mit zu uns. Vorher hatten wir uns schon mit den nötigsten Utensilien (Halsband, Leine, Geschirr, Hundebett (wie sich herausstellte ausreichend für zwei Rockos), Trockenfutter und Näpfe eingedeckt.
Am Folgetag zeigte sich, wie angenehm das Leben mit Rocko war. Er liebte es, mit mir zusammen auf der Couch zu liegen und zu dösen.

Bei den ersten Malen Gassi gehen war insbesondere das Einsammeln des großen Geschäftes noch eine eklige Angelegenheit – vor allem der erste Versuch mit einer Gefriertüte mangels Alternative – aber das ging schnell in Fleisch und Blut über.
Die nicht so schöne Entwicklung (Mai 2013 bis Mai 2015)
Wie wir schon von einigen Seiten gehört haben, waren die ersten drei Wochen unauffällig, außer, dass er an der Leine zog bei jedem Spaziergang. Wie sich im Laufe der Zeit herausstellte, nahmen wir uns auch die falschen Vorbilder, was die Dauer der Spaziergänge betraf, im Nachhinein betrachtet haben wir Rocko am Anfang viel zu wenig ausgelastet. Das zusammen mit unserer Unsicherheit führte dazu, dass Rocko immer mehr meinte, die Führung übernehmen zu müssen, auch wenn ihn das überforderte.
Da Rocko nun anfing, jeden anderen Hund doof zu finden und anzupöbeln (außer den Nachbarshund Maya, mit der er sich sofort verstand), machten wir Einzelstunden bei einer Hundeschule, um die Leinenführung in den Griff zu bekommen. Etwa zur gleichen Zeit hatten wir den ersten Beißvorfall:
In der Nachbarschaft gab es einen West Highland Terrier, den Rocko überhaupt nicht leiden konnte. Eines Tages begegnete ich dem Nachbarn und wir beschlossen, die Hunde einfach mal ohne Leine zueinander zu lassen. Unglücklicherweise hatten wir beide keine Ahnung von Hunden. Der Nachbar nahm seinen Hund zwischen die Füße, ich ließ Rocko los. Rocko verstand das als Gelegenheit, endlich dem verhaßten Nachbarshund in den Nacken zu gehen und stürzte sich direkt auf ihn. Nicht nur, dass von seinem Verhalten völlig überrascht war, ich hatte überhaupt keine Ahnung, wie ich die beiden Hunde trennen sollte und schlug sogar Rocko auf die Seite. Erst später fand ich heraus, dass das das Falscheste war, was ich machen konnte. Es gelang uns schließlich, die beiden Hunde zu trennen, der andere hatte zum Glück keine ernsthaften Verletztungen, sein Besitzer einige Kratzer an den Händen und ich eine Wunde auf dem Kinn, wo ich bis heute eine kleine Narbe habe.
Kurz darauf musste ich geschäftlich zwei Tage nach München. Wir fanden eine HuTa (Hundetagesstätte) und fuhren mit Rocko dorthin, um uns und ihn vorzustellen. Bei diesem Termin gab es keine Probleme. Rocko wurde auf das Gelände mit den anderen Hunden gelassen und lief mit den anderen herum.
Ich brachte ihn am Tag meiner Abreise morgens zur HuTa und bekam nachmittags einen Anruf von meiner Frau. Rocko hatte sich mit zwei anderen Hunden gefetzt und durfte nicht wiederkommen. Er war also schon am ersten Tag aus der HuTa geflogen. Als meine Frau Rocko abholte, sprach der Besitzer mit seinen Mitarbeitern und stellte dann die Diagnose, dass Rocko ein Alpharüde sei – allerdings ohne ihn wirklich genau beobachtet zu haben. Glücklicherweise konnte Rocko am zweiten Tag zu den Nachbarn mit Maya, wo er auch später öfter hin konnte, genau so wie die Maya bei uns in „Tagespflege“ kam. Zwischen den beiden gab es nie Probleme, auch wenn Rocko öfter von Maya zurechtgewiesen wurde, die als Spitzmischling ihre Meinung durchaus vehement kundtuen kann.
Wir wechselten die Hundeschule, diesmal mit Gruppenunterrricht. Rocko wurde am Anfang begutachtet und als „nicht aggressiv“ eingestuft. Der Gruppenunterricht funktionierte auch, außerhalb war Rocko jedoch nach wie vor ein Leinenpöbler.
Die Grundidee des Besitzers der Hundeschule (B.) zur Verbesserung der Gehorsamkeit war es, dem Hund durch Futterentzug zu zeigen, wer am längeren Hebel sitzt. Der Ablauf war wie folgt:
Irgendwann nahm B. die Besitzer des Hundes zur Seite und erklärte den genauen Ablauf seiner Methode, die im wesentlichen darin bestand, den Hund zwei Tage komplett hungern zu lassen und ihm danach nur Futter zu gewähren, wenn er direkt auf Ansprache zur Futterstelle kam. Es gab dazu kein Merkblatt oder ähnliches, man durfte aber die Ausführungen von B. mitschreiben.
Was dann folgte war die schrecklichste Erfahrung in Sachen Hundeerziehung, die wir in der ganzen Zeit gemacht haben. Rocko lag mit laut knurrendem Magen im Körbchen (sein Magen knurrte die gesamte Nacht durch). Wir fühlten uns beide total mies.
Als ich dann bei der nächsten Stunde in der Hundeschule berichtete, konnte ich gar nicht bis zum Ende erzählen, B. unterbrach mich, ich hätte alles falsch gemacht, der Ablauf wäre nicht richtig gewesen.
Aufgrund der Erfahrungen mit dem ersten mal entschieden wir uns jedoch, das Experiment nicht noch einmal zu wiederholen. Das ging wohl in der Hundeschule vielen so, im Nachhinein betrachtet und mit den späteren Erfahrungen halte ich es nach wie vor für eine schlechte Idee, den Hund durch Futterentzug gefügig zu machen.
Trotzdem haben wir in dieser Hundeschule zumindest die Grundlagen gelernt und auch schon einmal ein paar Hundesportarten ausprobieren können, die jedoch Rocko keinen Spass gemacht haben.
Leider gab es in der Folgezeit noch drei weitere Beißvorfälle, einen harmlosen und zwei schlimmere.
Der erste war im Oktober 2013. Ich ging mit Rocko die übliche Bachrunde, uns kam eine Hundebesitzerin mit kleinem weißem Hund entgegen und wollte die Hunde spielen lassen. Nach meinen bisherigen Erfahrungen sagte ich ihr, dass ich das nicht wollte, da hatte sie jedoch schon die Leine fallengelassen und war zur Seite getreten. Ihr Hund kam frontal auf Rocko zu, der ihn sofort am Nacken packte. Es gelang mir, die beiden Hunde zu trennen, wobei der Verschluss vom Halsband zerbrach. Ich rief der Frau noch Name und Adresse zu und entfernte mich, da ich meinen Hund ohne Halsband nur schwer kontrollieren konnte.
Einen Monat später stand die Frau dann bei mir vor der Tür. Die Adresse hatte sie sich wohl nicht merken können, sie hatte Rocko allerdings auf dem Schild erkannt, das ich an der Gartentür angebracht hatte, um die Paketboten daran zu erinnern, das Tor zu schließen. Wir sprachen eine Zeit, sie sagte mir, ich solle nicht aufgeben. Da mir das Gespräch komisch vorkam, schrieb ich der Gemeinde meine Version (auf Anraten von B.). Zwei Monate später bekam ich Post von der Gemeinde. Die Besitzerin hatte mich dann doch angezeigt, obwohl sie mir gesagt hatte, dass sie das nicht tun würde. In ihrer Beschreibung sah der Sachverhalt allerdings ganz anders aus. Rocko hätte den anderen Hund unvermittelt angegriffen als sich die beiden begegnet seien.
Wir haben nach meiner Antwort nie wieder etwas davon gehört, außer dass der Mann der Besitzerin bei uns anrief, weil er die Meldung an die Versicherung mit unserer abgleichen wollte, was ich jedoch ablehnte.
An dieser Stelle erwogen wir, Rocko wieder abzugeben. Wir hatten schon nach dem ersten Vorfall versucht, über die Pflegefamilie Hilfe bei der Tierschutzorganisation zu bekommen, die Rocko nach Deutschland gebracht hat. Die Rückmeldung von da war jedoch, dass Rocko vorher nie auffällig war und bei uns wohl nicht genügend „Struktur“ hätte.
Wir wechselten wieder die Hundeschule, diesmal wieder zu einer Trainerin, die sich auf aggressive Hunde spezialisiert hatte. Wir ließen Rocko medizinisch durchchecken (keinerlei Auffälligkeiten) und gewöhnten ihn an einen Maulkorb.
Leider gab es in dieser Zeit noch einen Vorfall, bei dem Rocko allerdings eher unschuldig war: Als meine Frau am Haus von Nachbarn vorbei ging – auf der anderen Straßenseite wohlgemerkt – schoß der Nachbarhund (klein und weiß) über die Straße auf Rocko los, der sich den kleinen natürlich schnappte – er konnte ihn sowieso nicht leiden. In der Folge kam der Nachbar noch auf die Idee, die Hunde zu trennen, indem er beide auf die Motorhaube eines Autos beförderte, wo sich natürlich die Krallen der Hunde verewigten. Die Auffassung des Nachbarn war, dass wir das an unsere Versicherung melden sollten, dazu bekamen wir dann auch noch die Tierarztrechnung in den Briefkasten geworfen, für den Nachbarn war die Sache damit erledigt. Für unsere Hundehaftpflichtversicherung auch, sie schmiss uns raus.
Nachdem uns unsere Hausversicherung ein Angebot gemacht hatte, dass wir nicht annehmen konnten (1000 Euro pro Jahr mit 500 Euro Selbstbeteiligung) konnten wir Rocko dann zum Glück bei einer Versicherung auf Gegenseitigkeit versichern. Zum Glück war das der letzte Vorfall in seinem Leben, der über die Haftpflichtversicherung lief.
Unser Leidensdruck wurde noch mal mit einem kleineren Vorfall erhöht, bei dem Rocko es einer Zicke mal kurz zeigen musste, die ihm am Zaun immer vehement angebellt hatte. Unsere Tiertrainerin empfiehl uns, Hundekontakte generell zu meiden.
Leider kam sie dann bei einer Stunde auf die Idee, Rocko ohne Maulkorb mit ihren beiden Hunden zusammen auf ihrem Grundstück zusammenkommen zu lassen, was in einem weiteren Beißvorfall endete.
Wir waren mit dem Nerven am Ende und nahmen Kontakt mit der Pflegefamilie auf, um Rocko zurück zu geben. Leider hatte die Tierschutzorganisation dafür kein wirkliches Konzept außer dass Rocko zurück zur Pflegefamilie sollte – was wir in Anbetracht der Tatsache, dass diese in einer Zwei-Zimmer-Wohnung lebte und einen Hund und Kaninchen hatte, für keine gute Idee hielten.
Zum Glück gab es genau zu der Zeit einen Bericht über Ute Heberer und Tiere in Not Odenwald im Fernsehen, unsere Hundetrainerin stellte den Kontakt her und genau zu der Zeit gab es die Raufergruppe, in der verhaltensauffällige Hunde gedeckelt durch souveräne Hunde sozialisiert wurden.
Ab jetzt wurde es besser (Mai 2014 bis Mai 2015)
Als wir das erste mal bei TiNO vor Ort waren, war da gerade Chaos, eine Woche vorher war ein Teil des Gebäudes abgebrannt, eine Katze ist dabei gestorben. Wir wurden dazu eingeladen, bei der nächsten Rauferwanderung teilzunehmen.
Diese Wanderung war eine Offenbarung, zum ersten mal waren wir zusammen mit vielen anderen, deren Hunde Probleme machten – nun, zusammen war am Anfang der falsche Ausdruck. Wie vorher gewohnt stellten wir uns mit unserem Pöbler abseits hin, der sofort alle anderen Hunde als „Arschlöcher“ titulierte. Als die Gruppe sich dann in Bewegung setzte, kehrte Ruhe ein, auch bei Rocko, in Bewegung lässt es sich nicht so gut pöbeln. Das war eine völlig neue Erfahrung, sich nicht zu separieren und auf viel Verständnis zu treffen.
Ab da waren wir dann ein mal die Woche Samstags vormittags bei der Rauferstunde, bei der die Problemfälle mit Maulkorb liefen und ein paar souveräne Hunde für Ordnung sorgten – wenn nicht die Trainer durch Werfen von Plastikgießkannen aufkommende Raufereien trennten. Wir haben fast 18 Monate an den Rauferstunden teilgenommen und bei einer Reihe von Kursen viel über uns und unseren Hund gelernt. Rocko hat sich mehr und mehr als normaler Hund benommen, der andere beschnüffelte, von anderen beschnüffelt wurde und – trotz Maulkorb – auch mal mit anderen Hunden gespielt hat. Klar gab es ein paar Kandidaten, die er nicht leiden konnte – aber ist das nicht bei jedem so?
So sehr Rocko bei Menschen Everybodies Darling war, bei anderen Hunden war das nicht so, er hatte seine Kandidaten, viele, bei denen er neutral war und einige Freunde. Was die Menschen betraf, die waren alle seine Freunde, oft kletterte er auch bei wildfremden auf den Schoß, vor allem bei jungen Männern, die hatten es ihm angetan, sei Leben lang.
Richtig zusammengerasselt ist er nur ein mal mit einem Rottweiler, der ihn schon eine Zeit lang geärgert hatte, bei dem er sich dann – nachdem der Maulkorb verrutschte – im Ohr verbiss. Da blieb zum Glück bis auf eine Entzündung des Ohres kein bleibender Schaden. Anders herum hatte er auch eines Tages eine Macke am Ohr von einem Hütehund.
Innerhalb dieser 18 Monate konnten wir von draußen immer Maulkorb langsam auf Maulkorb nur auf dem Rauferplatz und da wo viele Hunde frei laufen schwenken und durch die Kurse auch von Schleppleine auf frei laufen. Ab da war Rockos Leben nur noch schön: er konnte beim Gassigehen frei laufen und wurde nur bei Hundebegegnungen angeleint. Beißvorfälle gab es ab da gar nicht mehr.
Rocko im Arbeitsleben
Dadurch, dass ich schon lange fast ausschließlich von zu Hause arbeite, hatte Rocko fast das gesamte Jahr ein ideales Leben: Ich war den ganzen Tag zu Hause und ging morgens und mittags mit ihm Gassi, Abends ging meine Frau. Er hatte zwei Lieblingsplätze im Arbeitszimmer, einer unter dem Schreibtisch, wo ein Unterleger für ihn bereitlag

und einen auf der Couch im Arbeitszimmer, wo er in 1000 verschiedenen Positionen schlafen konnte, egal was um ihn herum passierte.


Als ich das erste mal ins Büro fahren musste (ca. eine Woche nachdem er zu uns kam), nahm ich ihn mit. Ich musste in einem Serverraum einen Router konfigurieren, Rocko störte das nicht, solange eine Decke für ihn bereitlag.

Wie man sieht war er tiefenentspannt, solange keine anderen Hunde da waren – oder Menschen, die ihn beachtet haben. Faszinieren fand ich vor allem, dass er überhaupt kein Problem mit dem Weg von der Tiefgarage über den Aufzug in den Raum hatte, so als würde er jeden Tag Aufzug fahren. Tür geht auf, Rocko geht in den Aufzug. Tür geht im anderen Stockwerk auf, Rocko geht wie selbstverständlich raus.